Wenn ein Jungspund auf Fernreise geht

  • Guten Morgen allerseits!
    Also Tagebuch habe ich nie geführt. Lediglich bei den Angeltouren habe ich mir Notizen gemacht. Das Geheimnis dahinter ist, diese Tour war absolut einmalig und sie war so gespickt mit besonderen Erlebnissen, die man einfach nicht mehr vergisst. Wie man noch sehen wird, die Geschichten zur Rücktour sind in der Anzahl deutlich geringer. Da war eben vieles schon bekannt und deshalb nicht mehr so einprägsam.
    Gruß Roland

    Richtung Norge und dann immer gerade aus!

    <fn> Linesøya - Was sonst? <fn>

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  • Da war doch noch etwas? Ach ja, ihr wolltet wissen wie es weiter geht! :biglaugh:


    Die Besichtigung von Tromsø war ein weiteres Highlight auf der Tour. Die äußere Erscheinung der Eismeerkathedrale hatte es mir besonders angetan und der Blick von oben auf die sich über mehrere Inseln erstreckende Stadt war schlicht atemberaubend.


    Abends haben dann die Reisegäste in der Nähe des Campingplatzes eine "spendable" Telefonzelle ausgemacht. Mit nur einer 10-Kronen-Münze konnte man unbegrenzt in die Heimat telefonieren. Das wurde dann weidlich ausgenutzt.


    Bei der Anfahrt nach Hammerfest überquere ich die nördlichste Hängebrücke der Welt. Sowohl die Brücke selbst als auch die Zufahrt dazu sehen noch recht neu aus. Ich bin weit und breit das einzige Fahrzeug und so halte ich mitten auf der Brücke und lasse kurz den überwältigenden Blick auf den Kvalsund auf mich wirken. Dann geht es wieder weiter. Kurz hinter Hammerfest liegt der gesuchte Campingplatz erhöht über dem Meer.


    Abends besuchten wir ein Restaurant in Hammerfest. Meine damalige Bestellung, ein Walsteak, würde ich heute nicht mehr tätigen. Das lag aber weder an der Zubereitung noch am Geschmack, denn es war absolut vorzüglich.


    Auf Empfehlung der Reisleiterin und wegen des wolkenlosen Himmels entschließt sich fast die gesamte Anzahl der Gäste anschließend zur Beobachtung der Mitternachtssonne. Vom Schlafanhänger ganz gut gegen den kühlen Wind geschützt sitzen wir in den Klappstühlen und sehen der sich rot verfärbenden Sonne beim Untergehen zu. Etwa eine viertel Stunde nach Mitternacht, die Sonne ist zu etwa 2/3 hinter dem Horizont verschwunden, da schlägt urplötzlich die Stimmung irgendwie um. Das Licht verändert sich, die Farbe der Sonne ebenfalls und dann bemerke ich, dass sich die Sonnenscheibe mehr und mehr vervollständigt, die Sonne geht auf ohne ganz verschwunden zu sein.
    Ich habe dieses Schauspiel bis heute nicht wieder gesehen, aber es ist mir unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt.


    Am nächsten Morgen fahren unsere Gäste mit dem Schiff ab Hammerfest zum Nordkapp und von dort aus wiederum mit dem Schiff nach Kåfjord.
    Manfred soll dort alle wieder mit dem Bus abholen, ehe es nach Karigasniemi an die finnische Grenze weiter gehen soll, wo ich mich von allen verabschieden muss. In Finnland wird der Anhänger von einem finnischen Vertragspartner geschleppt und für mich geht es den gleichen Weg durch Norwegen wieder zurück, nur mit einer Reisegruppe, die die gleiche Tour in umgekehrter Richtung macht und am gleichen Tag in Karigasniemi ankommen wird.


    Manfred hat mir angeboten, mich auf dem Abstecher Richtung Magerøya im Bus mitzunehmen. Er wartet beim Abzweig dorthin auf mich. So versuche ich nicht zu trödeln und lasse den Truck laufen wo es nur geht. Nach einer kurvigen Gefällestrecke erkenne ich, dass die Straße nach einer langgezogenen Linkskurve gerade in die Ebene hin ausläuft und trete deshalb das Gaspedal voll durch. Ausgangs der Kurve ist rechts plötzlich eine freie Fläche zu erkennen und strategisch geschickt und unübersehbar ist der Bus direkt neben der Straße platziert. Ich gehe voll in die Bremsen und was passiert? Richtig, der Anhänger beginnt auszubrechen! Sofort springe ich wieder aufs Gaspedal, denn andernfalls zerstöre ich Anhänger und Bus in einem Aufwasch! Tatsächlich reagiert der Anhänger wie gewünscht: Er richtet sich wieder aus. Puhhh! Ich hatte mehr Glück als Verstand. Ein kurzes Stück weiter kann ich wenden und schließlich neben dem Bus parken. Manfred meinte nur grinsend: Mit all den Reisegästen wäre es die nächsten Kilometer ein wenig eng geworden in deinem Fahrerhaus, so ohne Bus und Anhänger!


    Am Nachmittag erreichen wir die finnische Grenze. Ich fahre rechts ran und lege die Bremse ein. Raus aus dem Führerhaus, Kabel abstecken, Bremsschläuche lösen und Anhängerkupplung öffnen – die Handgriffe sind mittlerweile Routine. Dann ziehe ich meinen Laster weit genug vor, dass mehr als ausreichend Platz für den Bus bleibt. Ich stelle den Motor ab und helfe dann Manfred beim Ankuppeln und biete ihm an, beim Wechseln der Glühbirnen zu helfen! Einen Moment schaut er mich irritiert an, dann kommt ihm die Erleuchtung: „24 Volt!“ Während er die neuen Birnen aus dem Bus holt, schraube ich schon die Gläser ab. Als wir fertig sind wird es Zeit für den Abschied! Gäste, Reiseleiterin und Busfahrer, wir wünschen uns alle gegenseitig eine gute Weiterreise! Mit Wehmut sehe ich, wie sich nach kurzem Halt der Schlagbaum öffnet, der Bus anfährt und kurz darauf aus meinem Blickfeld entschwindet.


    Ok, was nun? Nach Aussage Manfreds würde es mindestens zwei Stunden dauern bis der andere Bus zur Grenze kommen würde. Vielleicht ist das die Gelegenheit, den mitgeführten Roman endlich zu beginnen? Ich krame das Taschenbuch aus der Reisetasche und ehe ich es mir im Führerhaus bequem mache, wende ich noch um gleich in der richtigen Richtung zu stehen. Drei Stunden später macht sich mein Magen bemerkbar und ich gönne mir eine warme Mahlzeit aus meinem immer noch reichlich bestückten Proviant. Nach dem Essen vertrete ich mir die Beine, entferne mich aber nur so weit, dass ich den Grenzübergang nicht aus den Augen verliere. Doch der Bus lässt weiter auf sich warten. Weitere Stunden später, mittlerweile ist es 22 Uhr durch, ist der Bus immer noch nicht aufgetaucht. Ich habe nur noch Fragezeichen im Kopf! Gab es vielleicht ein Problem am Bus, eine Panne oder gar einen Unfall? Eines steht fest: Auf dieser Tour waren wir um eine solche Uhrzeit bisher nie unterwegs. Also liegt nahe, dass sie noch in Finnland einen Campingplatz zum Übernachten angefahren haben. Gut, dann gehe ich jetzt auch zu Bett.


    Bereits beim ersten Schlag bin ich hellwach, als jemand mehrfach mit der Faust an die Tür zum Aufbau schlägt! Als ich rufe, „ich komme!“, wird auch schon die Tür geöffnet und jemand wünscht mir Guten Morgen. Dieser Jemand stellt sich als Hans vor und fragt im gleichen Atemzug, ob ich bereit bin für die Weiterfahrt. „Na klar.“ Während ich mir ein frisches T-Shirt überstreife, fällt mein Blick auf den Wecker. „Ist es wirklich zwei Uhr morgens?“ „Ich fürchte ja! Wir hatten ein Problem, aber das erzähl ich Dir morgen. Wir fahren noch etwa 20 km bis zum nächsten Campingplatz bei Karasjok und sehen zu, dass wir die Gäste ins Bett bekommen.“


    Die Geräusche vom Aufstellen der Klapptische und –stühle wecken mich. Der Wecker zeigt kurz vor acht Uhr und so beschließe ich aufzustehen. Ich schlüpfe in meine Jeans, schnappe mir den Kulturbeutel und öffne die Tür. Ich hätte sie beinahe im gleichen Moment wieder geschlossen. Massen von Kriebelmücken bilden dichte schwarze Wolken. So etwas hatte ich in dieser Heftigkeit auch noch nicht erlebt. Die Körperpflege erfolgt wegen dieser blutsaugenden Plage praktisch in Rekordzeit und fürs Frühstück ziehe ich mich in meinen Aufbau zurück. Keine zwei Minuten später steht Hans mit seinem Frühstück in Händen vor der Tür und bittet um „Asyl“. Das wird ihm natürlich lachend verweigert. Dadurch ergibt sich die Gelegenheit von den Vorfällen tags zuvor zu erfahren.


    Beim Halt in Inari hatten die Gäste Gelegenheit für „Erkundungen auf eigene Faust“. Ein kleiner Teil der Gruppe hat aber die vereinbarte Rückkehrzeit um fast 2 Stunden überzogen, was zu Unmut bei den pünktlichen Gästen und erst recht bei der Reiseleiterin geführt hat. Bei der Weiterfahrt waren sich dann Hans und seine Reiseleiterin an einem Abzweig über den richtigen Weg nicht einig. Durchgesetzt hat sich die Reiseleiterin - mit dem falschen Weg. Als dieser Irrtum dann feststand hat Hans den Bus gewendet. Dabei brach ein knapp unter der Oberfläche verlegtes Abwasserrohr unter dem Gewicht der Hinterachse ein, der Bus saß auf und konnte sich trotz aller Tricks und Kniffe nicht befreien. Per Anhalter gelangte Hans schließlich zu einem Bauernhof ein paar Kilometer weiter und der Besitzer war hilfsbereit genug, um mit seinem Traktor vor Ort für ausreichend Zugkraft und die Befreiung nach etlichen Stunden Verzögerung zu sorgen.


    Die morgendliche Besprechung mit Busfahrer und Reiseleiterin findet wegen der Mückenplage heute erst unmittelbar vor Abfahrt und entgegen bisherigem Usus im Bus statt. Die Gäste sind schon vollzählig auf ihren Plätzen und ich nutze die Gelegenheit mich kurz vorzustellen. Die Reiseleiterin, eine übergewichtige Frau von geschätzt 60 Jahren ist alles andere als gut gelaunt. Mir kann das egal sein, denn ich erfahre die geplante Tagesstrecke, die erforderlichen Treffpunkte und bin sie zwei Minuten später für den längsten Teil des Tages los.


    Zwei Tage später bin ich nachmittags auf der E6 unterwegs in Richtung Alta. Die zweispurige Straße mit relativ tiefen Straßengräben zu beiden Seiten führt schnurgerade durch eine nur spärlich mit Krüppelbirken, Flechten, Moos und Wollgras bewachsene, urige Landschaft, in einem ständigen auf und ab über kleine Hügel von nur wenigen Metern Höhe. Die Sonne blendet durch die Windschutzscheibe und lässt keinen anderen Schluss zu, dass ich aktuell in westlicher Richtung fahre. Ich komme aus einer der unzähligen Senken heraus und sehe erstmals nach einer doch längeren Strecke ein paar hundert Meter einigermaßen ebene Fahrbahn.
    Sobald der entgegenkommende Volvo vorbei ist, wird es Zeit, die hinter mir folgenden Fahrzeuge passieren zu lassen. Doch plötzlich taucht die Front des Volvo ab und die blockierenden Vorderräder erzeugen weiße Rauchwolken. Ein Blick in den Rückspiegel und mir bleibt schlagartig das Herz stehen. Direkt neben meinem Anhänger bricht ein PKW mit ebenfalls blockierenden Rädern seinen Überholversuch ab. Im Spiegel beobachte ich, wie die beiden Fahrzeuge, ohne Chance für ein Ausweichen, frontal aufeinander prallen.


    Völlig geschockt bin ich zunächst überhaupt nicht in der Lage zu reagieren. Schließlich setzt mein Denkvermögen wieder ein, wird aber nur von einem Gedanken beherrscht: Du musst zurück und helfen. Doch erst ein paar hundert Meter weiter findet sich eine Stelle, den Anhänger gefahrlos abzustellen und die Zugmaschine zu wenden.
    Das Bild an der Unfallstelle ist schockierend. Beide Fahrzeuge sind im Frontbereich stark beschädigt. Die vier jungen Schweden aus dem Volvo bestätigen auf meine Nachfrage, dass sie ok sind und nur ein paar harmlose Schrammen abbekommen haben. Auch das deutsche Ehepaar mit der vielleicht 12-jährigen Tochter hatte Glück und alle waren wundersamer Weise praktisch unverletzt.


    Die Unfallstelle war inzwischen schon abgesichert worden und ein Norweger aus der nachfolgenden Fahrzeugreihe macht sich mit seinem Wagen auf den Weg um Polizei und Abschleppfahrzeuge zu verständigen.
    Ich unterhalte mich dann ein wenig mit den drei Deutschen und erfahre, dass sie zwei Tage zuvor am Nordkapp und nun praktisch auf der Heimreise waren. Nach kurzer Diskussion nahmen sie schließlich mein Angebot an, Frau, Tochter und Gepäck aus dem Auto zum Campingplatz bei Alta mitzunehmen, wo sie mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst in einer der Hütten unterkommen können. Ich notiere dem Mann noch für alle Fälle meinen Namen, das Kennzeichen meines Lasters und den Namen des Campingplatzes. Etwa eine Stunde später erreichen wir den Platz und tatsächlich ist eine der Hütten verfügbar. Nachdem der Anhänger platziert ist, helfe ich Mutter und Tochter noch mit ihrem Gepäck.
    Vor der Abfahrt am nächsten Morgen erfahre ich vom Platzwart, dass der Mann morgens gegen 2 Uhr auch noch angekommen sei.


    Morgen gibt es dann den finalen Abschnitt!

    Richtung Norge und dann immer gerade aus!

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  • LmaA !!!!! (SORRY)

    Was für eine geile Geschichte !


    Roland,
    nach der Schilderung eines Norwegenurlaubs mit einer unglaublcih egoistischen (und dummen) Begleitperson
    vor vielen Jahren ist dieser Reisebericht für mich mindestens an Platz 2 !


    Herrlich ist Dein Schreibstil,
    amüsant (ok, meistens...) Deine Erlebnisse.


    Wenn es mulmig wurde, hatte wohl der Rotel-Gott seine sechsfingerige Hand über Dich.


    Nix mehr auf der Rückfahrtt ?
    War das Deine einzige Tour mit Rotel ?



    Auch wurde mir mal wieder bewußt, wie komfortabel wir heute eine Reise durch Norwegen erleben.


    Zu einer Zeit, als ich beim Nennen des Namens HITRA noch ehrfürchtig den Blick senkte
    und die Hände verschränkte (so um 1999) erzählte damaliger Angelfreund Hardy von seiner
    Reise dorthin. Er erzählte zwar von tollen Fischen, aber auch, dass die letzten 700 km
    dorthin nur über reifenmordende Schotterpisten ging.


    Wenn Dir noch weitere Episoden einfallen: BITTE SEHR GERNE.





    Die Sache mit Zwischengas und Zwischenkupplung hab ich auch noch erlebt,
    musste meinen Dienstführerschein auf so einem Prügel machen...


    Liebe Grüße von der Beeke/Ihme an die Donau


    Heiko :)



    Ach ja:
    darf dieser Reisebericht im Infopool veröffentlicht werden?
    Dort würde er dann kompakter, aber wieder in Teilen, zu lesen sein.


    ! holde seg frisk !

    Ja, vi elsker dette landet, som det stiger frem,

    furet, værbitt, over vannet, med de tusen hjem.

  • An die angesprochene Story kann ich mich auch noch gut erinnern! Stichwort "Fieselschweif". :lacher:
    Meine Schutzengel hatten nicht nur auf dieser Tour gut mit mir zu tun und sie waren zum Glück bis heute immer erfolgreich.
    Es war tatsächlich meine einzige Tour mit diesem Unternehmen. Obwohl ich es bis heute als "gut bezahlten Urlaub" empfinde, zum Fahren ergab sich keine Gelegenheit mehr und genau genommen ist es nicht die Art, wie ich meinen Urlaub verbringen möchte.
    Die Straßenverhältnisse und der Ausbauzustand von damals ist mit heute nicht mehr vergleichbar. Bei Kopenhagen und bei Oslo gab es kurze Stücke Autobahn. Heute geht es durch bis hoch nach Hamar ausschließlich auf Autobahnen.
    Natürlich kannst Du den Bericht gerne auch in den Infopool stellen, kein Prob!

    Richtung Norge und dann immer gerade aus!

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  • Jede Reise endet einmal und so auch der Bericht zu dieser weit in der Vergangenheit liegenden Tour. Ich hoffe ich konnte euch ein wenig unterhalten.


    Am übernächsten Tag erreichen sowohl ich mit dem LKW, als auch der Bus, am frühen Nachmittag fast zeitgleich den Anleger der Fähre bei Skarberget. Eine lange Schlange an PKWs mit zwei LKWs dazwischen wartet schon auf das Einlaufen der Fähre. Unsere Befürchtungen, ob die Fähre groß genug ist für diese Anzahl an Fahrzeugen, bestätigen sich nur teilweise. Der Bus wird schließlich als letztes Fahrzeug auf die Fähre gewiesen, ich und mein Zug bleiben zurück und warten auf die Rückkehr in etwa einer Stunde.

    40 Minuten später ist draußen auf dem Fjord die Fähre endlich wieder zu sehen. Weitere zehn Minuten später sieht es aber so aus als würde die Fähre gar nicht den Anleger ansteuern. Ziemlich verwundert beobachte ich weiter, dann erkenne ich, dass die Fähre ihren Kurs endlich doch korrigiert. Jetzt ist es aber noch verwunderlicher, die Fähre hält nämlich exakt auf meinen Standpunkt zu, die Einfahrt durch die Kaimauern um den kleinen Hafen liegt aber rund 50 Meter weiter links. Teils fasziniert, teils erschreckt beobachte ich weiter, doch diesmal kommt keine Kurskorrektur und die immer größer werdende Fähre verfehlt die Einfahrt um mehr als 20 Meter und läuft mit Donner und Getöse auf die Kaimauer auf. Lähmendes Entsetzen ergreift mich und ich sehe mich geistig schon Schiffbrüchige aus dem Wasser ziehen. Ich steige aus und schließe meinen Truck ab. Während ich langsam auf die Kaimauer zu marschiere, beginnt der Schiffsdiesel plötzlich zu dröhnen. Dunkler, dicker Qualm entsteigt dem Schornstein und die Fähre ächzt und schiebt sich langsam rückwärts wieder in freies Fahrwasser. Das Dröhnen versiegt und langsam schwingt der lädierte Bug herum, dann nimmt die Fähre ganz langsam etwas Fahrt auf, fährt den korrekten Weg in den Hafen und legt schulbuchmäßig an. Kurz darauf geht zunächst das Bugschild hoch, dann die Schranke und die Fahrzeuge werden von der Fähre gelassen. Die wenigen Fußgänger, die die Fähre verlassen, haben eine auffallend blasse Gesichtsfarbe. Als alle Fahrzeuge und Passagiere von Bord sind, wird die Schranke geschlossen. Ob es das jetzt für heute war?



    Vorsichtshalber studiere ich die Straßenkarte. Der Weg um den Fjord zum Treffpunkt ist weit - viel zu weit, als dass ich zu einer für die Gäste zumutbaren Zeit ankomme. Da auch in der hinter mir wartenden Autoreihe kein Fahrzeug wendet und davon fährt, entschließe ich mich ebenfalls zum Warten. Nach etwa einer halben Stunde kommt ein Norweger in ölverschmiertem Arbeitsanzug von der Fähre zu mir ans offene Fahrerfenster und informiert mich auf Englisch, dass es in circa 20 Minuten weitergehen wird. Ich danke ihm für die Auskunft und er geht weiter zum nächsten Fahrzeug.



    Tatsächlich kann ich eine viertel Stunde später auf die Fähre fahren. Ich hatte dabei ein ungutes Gefühl in der Magengegend, das kann ich nicht leugnen.
    Zwei Stunden später treffe ich am Campingplatz ein. Der Bus war natürlich zwei Stunden zuvor angekommen und ich hatte eine volle Stunde Verspätung. Manfred war gleich zur Stelle. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Hattest Du Probleme?“ „Nein, ich nicht, aber die Fähre!“. Ich erzähle ihm das Erlebte kurz und kaum dass ich zum eigentlichen Unfall komme, hat er schon ein lausbubenhaftes Grinsen im Gesicht. „Was zum Teufel gibt es da zu Grinsen?“ „Der Kapitän hatte mich angesprochen und ich habe ihm zwei Flaschen Whisky verkauft. Er hatte wohl schweren Entzug!“



    Die Spannungen zwischen Busfahrer und Reiseleiterin, die wohl den Auslöser schon vor dem Zwischenfall mit dem gebrochenen Abflussrohr hatten, wurden fast täglich heftiger. Die Gäste erzählten mir sogar von beleidigenden Ausfällen der Reiseleiterin gegenüber Hans. Weil die Fahrten über die Trollstigen kein fester Bestandteil der Reisen war und nur bei geeigneten Bedingungen gemacht wurden, hatten sich die Gäste ein paar Tage zuvor erkundigt, dass diesem Unterfangen doch wohl nichts entgegenstehen würde? Die Reiseleiterin hat dies allerdings rigoros abgelehnt: „Mit diesem Busfahrer fahre ich nicht über die Trollstigen!“ Keine 24 Stunden nach dieser Aussage war die Meuterei auf der Bounty perfekt. Die gesamte Reisgruppe solidarisierte sich ausnahmslos, aber erst die Drohung, sofort die Firmenzentrale telefonisch zu verständigen, brachte schließlich die Wende zum Guten. Von da an wurde die Reiseleiterin deutlich handsamer!



    Auf der Fähre von Rødby in Dänemark nach Puttgarden decke ich mich im Duty Free Shop mit zwei Stangen Zigaretten ein. Als ich anschließend von der Fähre rolle und dem deutschen Zöllner meinen Personalausweis überreiche, ahne ich noch nicht einmal andeutungsweise, was jetzt kommen sollte. Der Zöllner stellt die obligatorische Frage, ob ich etwas zu verzollen hätte? Wahrheitsgemäß verneine ich. „Keine Zigaretten?“ Ich antworte: „Nur die erlaubten zwei Stangen.“ „Als Berufskraftfahrer dürfen sie nur eine Stange Zigaretten einführen.“ „Ich bin aber kein Berufskraftfahrer, ich mache das nur als Ferienjob, den ich übermorgen beendet haben werde.“ „Dann müssen sie im Büro ein Formular ausfüllen und das bestätigen! Stellen sie bitte das Fahrzeug hier an der Seite ab und kommen mit mir.“ Als der Papierkrieg erledigt ist, meint er lapidar: „Wenn sie schon einmal hier stehen werfen wir gleich noch einen Blick in den Anhänger.“ Ich falle fast vom Glauben ab, aber was hilft es. Natürlich dauert es etwas, bis die beiden Klappen an der Seite in Position gebracht sind und dann stellt der gute Mann fest: „In den Schlafkojen sind ja private Dinge der Reisegäste!“ „Ja natürlich. Kein Mensch räumt jeden Morgen seine persönlichen Sachen ins Auto, wenn er mehrere Tage in einem Hotel logiert. Und das hier, erfüllt den gleichen Zweck wie ein Hotelzimmer.“ Jetzt war der gute Mann aber überfordert und ein Kollege musste hinzugezogen werden. Nach schier end- und fruchtlosen Diskussionen und einer mittleren Ewigkeit geben sich die beiden Zöllner gnädig, erklären die Angelegenheit für erledigt und ich könnte den Anhänger wieder verschließen. „Das geht leider nicht!“ erkläre ich den Beiden. „Zumindest nicht ohne Hilfe!“ Ehrlich, die langen Gesichter der beiden Zöllner waren wie eine angemessene Entschädigung für das vorangegangene Trauerspiel. Körperliche Arbeit war ihnen sichtlich zuwider! Und erst die schmutzigen Hände!



    Zwei Tage später erreiche ich ohne weitere Zwischenfälle wohlbehalten die Heimat. Nach mehr als 10.000 km und 5 Wochen auf dem Bock sitze ich erstmals wieder in einem PKW. Die Sitzposition ist völlig ungewohnt und das Beschleunigungsvermögen tut ein Übriges: Ich fühle mich wie ein Pilot in einem Formel-Boliden.
    Die Rückfahrt nach Passau habe ich genossen wie selten zuvor oder danach. Ich erinnere mich aber auch daran, dass ich bei jeder Bodenwelle den Hintern eingezogen habe aus Angst, ich könnte damit den Asphalt touchieren.




    Nachtrag:
    Ungefähr ein halbes Jahr nach Beendigung der Tour blätterte ich in Vaters aktueller Zeitschrift des Auto Club Europa. Das Foto eines Unfalls in Norwegen und ein Foto mit drei bekannten Gesichtern machten mich auf den gesamten Artikel neugierig. So erfuhr ich schließlich noch, dass nach dem Unfall oberhalb Alta das deutsche Ehepaar mit Tochter zwei Tage später seine Reise in einem Mietfahrzeug bis Oslo fortgesetzt hat und schließlich per Flugzeug und Bahn nach Hause gekommen ist. Das Unfallfahrzeug kam ein paar Tage später durch den Rückholservice des ACE auch noch an. Gefreut hat mich dabei, dass sich die Drei in dem Artikel nochmals ausdrücklich für meine Hilfe nach dem Unfall bedankt haben.

    Richtung Norge und dann immer gerade aus!

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  • :baby: SAUBER mein Lieber ! :baby:


    Ein unglaublich schöner und vor allem EXKLUSIVER Reisebericht !


    Wer hat denn sonst schon die Möglichkeit,
    einen ROTEL-Insider-Reisebericht serviert zu bekommen.


    Roland
    "einen rauf, mit Tasche" !



    LG Heiko :)


    ! holde seg frisk !

    Ja, vi elsker dette landet, som det stiger frem,

    furet, værbitt, over vannet, med de tusen hjem.

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