Anglerlatein + Seemannsgarn + Räuberpistolen

Icke und der Hering.

Eine wahre Geschichte aus Stralsund…

Es war ein Tag um Ostern, aber definitiv keiner der Feiertage, mittlerweile sind mehr als 19 Jahre vergangen, aber ich bekomme die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf. Mal abgesehen davon, dass ich den genauen Wortlaut der spärlichen Konversation nicht mehr kenne, ist die Geschichte zu 100 % wahr.

Tatort: Nordmole Stralsund, Molenkopf, die Fische stehen gestapelt in der Hafeneinfahrt und ich als Student mit Mini-Gefrierfach habe einen 10l Eimer mit Deckel, darin zwei große Eisblöcke, falls es länger dauert, bei mir und freue mich über die hungrigen und alles fressenden Fische. Leider war der Eimer schnell voll, das Wetter fantastisch und einen Platz am Molenkopf gibt man nicht gerne so schnell auf, wenn man mal einen ergattert. Also einmal den Blick nach rechts und links – Da stand Icke, ein waschechter Berliner, der mit einer blauen 200 l Regentonne angereist war und den Vorsatz hatte diese an dem Vormittag nochmal voll zu machen, bevor er dann zur Nachschicht wieder in Berlin sein muss. Meine Frage: «Soll ich Dir helfen» wurde postwendend mit ja beantwortet. Also weiter geht’s mit der Angelei. Als die Tonne halb voll war meine Frage, ob er die Tonne wirklich voll haben will? Die Fische unten werden doch total zerdrückt… Seine Antwort kam aus der Pistole geschossen. «jou». Also weiter im Fangrausch… Tonne zu dreiviertel voll,7/8 voll 15/16 voll, 31/32 voll, 63/64 voll… Ich stelle das Angeln ein – Icke nicht – da gehen noch 2-3 Fische rein, vielleicht auch 10 oder 20. Ich hatte schon die Befürchtung, dass er mich fragt, ob ich ihm helfen kann die Tonne mit zum Auto zu schleppen – aber er meinte, als die Tonne zu 9/8 voll war – «reicht jetzt- ick muss los» - Ich bezweifelte schon seit längere, ob er es noch schafft zur Nachtschicht – vielleicht war Schichtbeginn aber erst Mitternacht…. Also den schwarzen Schraubdeckel auf das Fass geschraubt – naja versucht. Mit Rütteln, schütteln, viel gutem Willen… Leichter Kraftaufwand… Stärkerer Kraftaufwand… Icke liegt auf dem Deckel und dreht sich dabei mit schwungvollen Bewegungen der Beine ganz langsam und ruckweise um seine eigene Achse. Ende vom Lied… Das Fass sieht aus, als wäre es voll mit Wasser bei strengem Frost 3 Nächte auf der Terrasse gestanden, berstend voll, aber der Deckel ist zu.

Nächstes Projekt – Transport. Kein Problem für Icke – er hat an alles gedacht… «Ick hol mal schnell die Sackkarre». - Alles klar. Seine Frage, ob ich kurz auf seine Fische aufpassen kann? Naja – unnötig. Hab keinen Bagger oder Kran in der Nähe gesehen, der mal eben schnell den Fisch abtransportieren könnte. Die Mole ist lang, der Schichtbeginn rückt näher, die Sonne scheint, die Fische beissen wie verrückt… herrlich. Da kam Icke mit seiner Sackkarre zurück. Massives Modell aus Zeiten des kalten Krieges, aber definitiv stabil genug für das Fass. Da ich mein Fahrrad dabei hatte, einen Eimer mit schön gekühltem Fisch und bester Laune überließ ich den Transport meinem neuen Bekannten, der fluchend, schwitzend, aber doch gut gelaunt Meter für Meter die Mole entlangkreuchte und ich langsam die Befürchtung hatte – der überlebt das nicht – spätestens sein Chef lüncht ihn, wenn er zu spät zum Schichtbeginn kommt.

Aber wir kamen am Parkplatz an und in der Ladezone, stand ein Passat, schwarz, Dachreling, Schiebedach aufgestellt, Strafzettel unterm Scheibenwischer, leerer Kofferraum, Rücksitzbank umgeklappt. Also – gutmütig wie ich bin - kam ich seiner Frage «Hilfst Du mir noch schnell einzuladen?» nach und nach 3 Versuchen lag das Fass im Kofferraum, Deckel nach vorne, Boden nach hinten, wie es sich gehört. Das wäre geschafft. Ladungssicherung? Jo – passt so. Ist ja noch ein Sitz zwischen Fahrer und Fass… Zusammen noch eine Kippe geraucht – die Camel kam von ihm. Hätte ich besser gelassen, denn ich habe mich mal wieder daran erinnert, dass Camel einfach mies schmeckt (zum Glück habe ich mittlerweile die Qualmerei komplett aufgegeben…) – ein bisschen geklönt und dann wurde es aber auch höchste Zeit für Icke loszufahren – die Nachschicht…

Also hat er den Kofferraumdeckel in die Hand genommen und runter damit. Da war was im Weg – stimmt - das Fass… Also nochmal, mit etwas mehr Schwung. Aber das war dann doch zu viel für den Deckel. Der Kofferraum war zu, der Deckel vom Fass auf, und mit einem Schwall ergossen sich Fische, Laich, Blut, Schleim, Wasser und was sonst noch so alles in dem Fass zu finden war in den Kofferraum, in den Fußraum hinter dem Fahrersitz – zumindest bis der voll war, dann schwappte auch noch eine Portion in den Beifahrerfußraum. Mich überkamen gemischte Gefühle. Ich sag’s mal so. Es ist mir schwer gefallen das Lachen zu verkneifen. Nicht wegen der Fische, die sich im Auto verteilten, das tat mir leid… Es war eher die Situation an sich… Und der Blick von Icke in dem sich alles außer Freude und Euphorie widerspiegelte… Es war eher Fassungslosigkeit, gepaart mit schwitzen, frösteln, zittern - sogar ein leichter Anflug von übermenschlicher Todesangst. Vielleicht war das auch das erste mal, dass ich die wirre Raserei von Panik in einem Menschen gesehen habe. Stammelnd suchte Icke nach Worten, er wurde gefühlt immer kleiner neben mir und das will was heißen bei meiner stattlichen Größe von stolzen 172 cm… Irgendwann lies ich (als ich mich meinen übernatürlich heftigen Lachreiz kurzzeitig - zumindest einigermaßen - im Griff hatte) verlauten: «Oh – Mist – das ist aber jetzt ne ganz schöne Sauerei»… Daraufhin seine letzten Worte, bevor ich mich ganz schnell in Richtung Rügendamm davonmachte: «Das ist nicht mein Auto - das Auto ist von meinem Nachbar»…

Und wenn er nicht am Gestank im Auto, an den Launen seines Chefs, an der Vergeltung seines Nachbarn, gestorben ist, dann erinnert er sich wohl immer noch an seinen letzten Blick auf den Studenten, der stundelang mit ihm am Wasser gestanden hat und nun tränen lachend sein Fahrrad schiebend, 10 Liter Hering (abzüglich der Eisklumpen) am Lenker den Heimweg antrat.

Lieber Icke – solltest Du nach dem Erlebnis das Angeln nicht aufgegeben haben und hier im Forum sein: Danke für diese Erinnerung, die mich noch heute sehr erfreut und immer wieder zum Besten gegeben wird. Falls Du das liest. Melde Dich und lass uns mal gemeinsam wieder zum Heringsangeln gehen. Es wäre mir eine Freude! Und wenn Du Lust hast – schreibe hier weiter, wie die Geschichte ausging…

Sehr schöne Geschichte.

Es ist gut, wenn man mal etwas liest, was einen zum Schmunzeln bringt.

Danke

Hoddel