Wieder und wieder rütteln heftige Stöße durch meinen ganzen Körper. Die Handflächen sind klebrig feucht und mein Herzschlag rast wie bei einem Marathon. Seit 3 Stunden sitze ich in einer Boing 737-700, die sich nun, nach passieren der isländischen Ostküste, im Landeanflug auf den Flughafen Keflavik befindet.
Nachdem die Maschine Ihre komfortabel ruhige Reisehöhe von ca. 11.000 Metern verlassen hat, wird sie im 5-Sekunden-Takt von heftigen Windböen erfasst., die den Rumpf der Maschine bedrohlich erzittern lassen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr – in dreißig Minuten sollte das Gerumpel ein Ende haben und mein Pulsschlag wird sich langsam beruhigen.
Doch der hohe Puls und die feuchten Hände sind wohl nicht allein der Flugangst geschuldet. Immer wieder schweifen meine Gedanken während des Fluges ein Jahr zurück. Im Geiste stehe ich erneut an diesem traumhaften Strand unterhalb des vergletscherten Vulkankegels und kämpfe bei Mitternachtssonne ein ums andere Mal mit großen Lachsen und prachtvollen Meerforellen. Diesen unbeschreiblichen Kick, den nur ein Mensch nachvollziehen kann, der unsere Leidenschaft teilt, diesen Kick will ich wieder spüren. Adrenalin soll von meinem Körper Besitz ergreifen und dabei helfen, die ungestillte Leidenschaft zu befriedigen, soll den durch Alltagsstress und geschäftlichen Unmut geplagten Kopf leer fegen und das sich bildende Vakuum mit der Droge namens Anglerglück auffüllen.
Nur wenige Stunden später ist der magische Ort dann tatsächlich erreicht. Doch von der Ruhe und der schillernden Magie des letzten Jahres ist jetzt hier, am Ziel meiner Sehnsucht, nichts mehr zu spüren.
Ein schwerer Sturm peitscht aus Süden direkt gegen „meine“ Silberbarrenküste und fegt große schmutzige Schaumfetzen des tobenden Meeres über die Dünen in Richtung des dunklen viele Kilometer landeinwärts liegenden Felsmassives. Am Strand liegen chaotisch ineinander verstrickt Unmengen von Tang und Kelbblättern. Immer wieder tauchen dazwischen Fischkadaver auf, die sich bei näherer Betrachtung als verendete Steinbeißer und Seehasen entpuppen. Geschwächt vom Laichgeschäft konnten sie den schweren Sturmfluten nichts mehr entgegensetzen und fanden nun zu hunderten ein trauriges Ende auf diesem Strand.
Der magische Ort, dem ein volles Jahr lang immer wieder meine anglerischen Träume gehörten, war mit einem Schlag entzaubert. Meine erwartungsvoll gespannten Schultern sackten schlaff herunter und der feste Griff um meine eilig montierte Spinnrute lockerte sich vor Enttäuschung im Zeitlupentempo.
Diesen unerwarteten Schlag musste ich jetzt erst einmal verdauen. Ruhig setze ich mich auf die Grasnarbe einer erhöht liegenden Düne und frage mich, womit um alles in der Welt ich das denn nun wohl verdient hätte ...
Bei all meinen Überlegungen und der Vorfreude zu den bevorstehenden Angelabenteuern hatte ich völlig in den trügerischen Erinnerungen des vergangenen Jahres geschwelgt, in denen Sonnenschein, ein laues Lüftchen und der blaue Himmel meine ständigen Begleiter waren. Dabei hatte ich völlig ausgeblendet, dass Island eben Island ist, eine eisige Insel mitten im Nordatlantik durch deren nördliche Spitze der Polarkreis verläuft.
Natürlich hatte ich mich im Vorfeld mit Wetterprognosen beschäftigt, aus denen klar ersichtlich wurde, dass es erneutes Karibikfeeling auf Island in diesem Jahr nicht geben würde, aber mit dem was sich jetzt vor meinen entsetzten Augen abspielt hatte ich im Leben nicht gerechnet.
Mein verzweifelter Blick streift über die Küste und bleibt in jeder Richtung an dichten tiefliegenden Wolkenformationen hängen. Der Sand der großen Dünenformationen hat sich im Ergebnis der Herbst- und Frühjahrsstürme gegenüber dem letzten Jahr vollkommen umgruppiert. Die äußerst fangträchtige erste Rinne ist gefüllt mit allem was das Meer an Pflanzen- und Tierresten zu bieten hat. Vor mir schwappt einfach nur eine zähe bräunlich grüne trübe Brühe. An diesem Strand ist an ein kontrolliertes Angeln nicht zu denken.
Voller Enttäuschung wende ich mich ab von diesem anglerischen Bild des Grauens und richte meinen Blick flehend in den Himmel. Weit entfernt über dem Felsmassiv im Landesinneren öffnet sich zwischen all den regenschwangeren Wolken für einen kurzen Moment der Himmel und gibt einen schmalen Licht durchfluteten Streifen frei. Dieser Lichtkegel hat mit etwas Phantasie die Form eines Pfeils und seine Spitze zeigt eindeutig weg vom Meer, hinein in die Berge.
Dieser kurz sichtbare leuchtende Pfeil sollte für die kommenden Tage mein Wegweiser zum Fisch werden. Er gab die Richtung vor zu einigen unvergessenen Angelabenteuern zwischen dem dicht unter der Erdoberfläche lodernden Feuer der Vulkane und dem türkisfarbenen Eis der zahlreichen Gletscher. Er wies mir den Weg zu Salmo trutta fario.
Zwei Tage später ...
Vorsichtig balanciere ich auf den bis weit in das Wasser hineinragenden Felsbrocken am Ufer dieses malerischen glasklaren Sees. Zu meiner Linken thront wie ein alter grauer König der spärlich mit Moos und Flechten bewachsene Hügel eines kleinen erloschenen Vulkans. Zu meiner Rechten erhebt sich ein mehrere hundert Meter hohes Bergmassiv, dessen Spitze in ewiges Eis gehüllt ist und das den See wirkungsvoll gegen die peitschenden Windböen abschirmt. Am Fuß der Berge ragen aus den Felsspalten kleine birkenähnliche Büsche an denen sich erste zarte Triebe zeigen. Die flache Wiese zum Wasser hin strahlt in saftigem Grün, auf ihr bewegen sich gemächlich einige weidende Schafe.
So krasse Gegensätze der Natur kann man nur an wenigen Orten unserer Welt beobachten und Island ist einer von ihnen.
Das wenige von den dichten dunklen Wolken reduzierte Licht wird von den kleinen Wellen an der Oberfläche des Sees reflektiert. Bei jedem Wurf mit meiner leichten Spinnrute entsteht der Eindruck, dass mein Köder in einem Meer aus Quecksilber versinkt.
Ich blicke hinüber in Richtung des gleichmäßigen Plätscherns und Rauschens auf der gegenüberliegenden Seite des Sees. Ein kleiner Bach hat sich über tausende von Jahren tief in den Fels geschnitten und bildet kurz vor seiner Mündung in den See ein Delta aus vielen kleinen Rinnsalen.
Das Spinnerblatt rotiert gleichmäßig am Ende der 0,10er Fireline und lässt die Rutenspitze meiner Daiwa Shogun leicht vibrieren. Seit etwa 5 Minuten hänge ich meinen Gedanken nach und langsam beruhigt sich mein Atem von den Anstrengungen des beschwerlichen Anmarsches.
Für einen kurzen Moment , vielleicht für ein oder zwei Umdrehungen, versagt der Spinner seinen ansonsten zuverlässigen Dienst. Das kann keine Grundberührung gewesen sein, denn der Köder bewegt sich eindeutig im Mittelwasser. Der nächste Wurf geht noch einmal exakt in die Richtung des vorherigen. Ich zähle still einundzwanzig, zweiundzwanzig ... fünfundzwanzig jetzt sollte der Spinner die gewünschte Tiefe erreicht haben und ich bringe ihn mit einem kurzen Ruck aus dem Handgelenk erneut zum Rotieren. Weit kommt er nicht! Ein fulminanter Einstieg, der mir keinerlei Chance lässt, einen kontrollierten Anschlag zu setzen, reißt die Rutenspitze herunter und im gleichen Augenblick schraubt sich wild mit dem Kopf schüttelnd etwa dreißig Meter entfernt ein Fisch aus dem Wasser. In hohem Bogen katapultiert die Forelle den Köder aus ihrem Maul in meine Richtung. Die Schnur erschlafft, das war es, ausgestiegen. Verdammt!
In der nächsten Stunde folgt dann Wurf auf Wurf und Köderwechsel auf Köderwechsel. Kleine Wobbler werden gegen größere Blinker und dunkle Spinner gegen hellere Gummifische getauscht. Aber es passiert nichts, absolut nichts!
Gut, es ist wohl auch Zeit für eine kurze Pause. Ein Stückchen Wiese bietet eine optimale Ruhestätte und ein Schluck Tee aus der mitgeführten Thermoskanne sorgt für wohlige innere Wärme.
Wieder fällt mein Blick auf den Bachlauf am gegenüberliegenden Ufer. Da ich schon einige hundert Meter watend zurückgelegt habe, bin ich ihm jetzt etwas näher gerückt. Wenn ich Forelle wäre, dort würde ich mich postieren, denn der Bach sollte reichlich Nahrung in diesen sonst eher nährstoffarmen See spülen.
Ich beschließe diesen Platz jetzt direkt anzusteuern. Vorher ziehe ich jedoch noch meine prall gefüllte Köderbox hervor und inspiziere sie ausführlich. Mein Blick fällt auf einen gerade in der letzten Woche neu erworbenen Mepps Spinner mit nachlaufendem Gummifisch. Ohne zu zögern wird dieser Kombiköder in den Wirbel geklinkt und auf geht es in Richtung Bacheinlauf.
Mit gebührendem Abstand bleibe ich einen Moment stehen und beobachte gespannt die Szenerie vor der Mündung des Baches. Dann steige ich etwas seitlich des Einstromes im ruhigen unbewegten Wasser ein, um die erhofften Fische nicht durch aufgewirbelte Sedimente misstrauisch zu machen.
Zwischen den vielen runden Steinen suche ich einen sicheren Stand im knietiefen Wasser und wähle gleichzeitig mit den Augen die erste Anwurfstelle aus. Ich entscheide mich dafür, den Einlauf zu überwerfen und anschließend den Köder solange es geht langsam in der Strömung zu halten. Gesagt, getan – den Schnurfangbügel der kleinen Stradic zurück geklappt werfe ich mit einem leichten Rückschwung die etwa 20 Meter entfernte Stelle an. Das Wasser ist dort schätzungsweise 2 Meter tief und ich lasse den Köder nur kurz absinken. Nach fünf Metern dringt er in die Strömung des Bachlaufes ein und genau im gleichen Augenblick lässt der erhoffte Schlag die Rute erzittern. Dieses Mal bin ich darauf vorbereitet, kann einen kurzen aber kräftigen Anschlag setzen und der Tanz beginnt.
Zunächst versucht der Fisch mit kurzen heftigen Kopfschlägen den lästigen Haken abzuschütteln. Nachdem sich dieser Versuch als untauglich erweist macht er eine erste etwa zwanzig Meter lange Flucht, die meiner kleinen Stationärrolle ein vertraut geliebtes Surren entlockt. Der ersten Flucht folgen weitere drei und dann schwimmt meine Beute plötzlich mitten in den Strom und stellt sich quer. Dort verharrt sie etwa fünft Sekunden, bis sie ein konstant starker Zug wieder zur Bewegung zwingt. Die folgenden Fluchten werden kürzer und auch ein letzter verzweifelter Salto unmittelbar vor meinen Füßen kann den Fisch nicht vor der Handlandung bewahren.
Langsam wate ich zum Ufer und lege Salmo trutta fario ins Moos. Hier kommt ihre ganze Schönheit richtig zur Geltung, zwischen Feuer und Eis in der rauen isländischen Einsamkeit.
Ich genieße diesen Moment und plötzlich spüre ich sie wieder, die Magie des vergangenen Jahres. Meine Seele schwillt an, prall gefüllt mit der Droge namens Anglerglück. Der Zauber, er hat Island nicht verlassen, er hat sich nur einen neuen Platz gesucht und ich habe ihn jetzt wiedergefunden.
Was für ein Glück! Womit um alles in der Welt habe ich das nur verdient?
Feuer, Eis und Salmo trutta fario
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Weiter ,weiter.Deine Geschichte konnte ich wie in einem Film vor mir sehen.Mach bloss schnell weiter.Ich bin schon ganz gespannt,vor allem auf Bilder.
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Die entzauberte Küste:
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Die hängenden Schultern eines verzweifelten Anglers:
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Der Lichtpfeil über den Bergen:
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Na wenn das mal keine Menschenquälerei ist!!!!
Sehr schön geschrieben, aber wo bleiben die Foto´s?
Viele Grüße,
Henryk.
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Beschwerlicher Anmarsch:
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Balanceakt auf den Felsen:
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Der Bacheinlauf:
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Was für eine Schönheit:
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